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Die politische Öffentlichkeit in Deutschland versucht, den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten als Politclown darzustellen, nach dessen Amtszeit sich dann wieder das Amerika durchsetzen werde, das die Freunde der NATO und des nordatlantischen Bündnisses sich wünschen. Doch wird im Schatten dieser ideologischen Strategie unübersehbar die Realität der amerikanischen Tradition der Weltbeherrschung im Namen der Demokratie deutlich sichtbar. Das Bewusstsein der Gründerväter, auserwählt zu sein, strahlt bis in die Gegenwart und legitimiert die Politik der amerikanischen Präsidenten.
Seit der staatlichen Gründung verstehen sich die Vereinigten Staaten als ursprüngliches und maßgebendes Modell der Demokratie. „Freiheit und Demokratie“ sind mit dem Staatsverständnis und dem Selbstverständnis der Bürger untrennbar verbunden. Diese Einheit wird in jedem halbwegs offiziellen Akt erneuert und beschworen. Was dabei gemeint ist, kann man an den Abschiedsreden der amerikanischen Präsidenten besonders authentisch ablesen. Sie bringen exemplarisch das Selbstverständnis einer Weltmacht zum Ausdruck, die nach Auffassung von Zbigniew Brzezinski auch die „einzige Weltmacht“ zu sein hat.
Seit George Washington 1796 seine Abschiedsrede in einer Zeitung veröffentlichte, hat der letzte Gruß eines US-Präsidenten eine lange Tradition. Die Reden finden in der Regel an einem Abend vor der formellen Verabschiedung statt, könnten also auch mit dem Satz „Gute Nacht, Amerika“ abgeschlossen werden. Der Republikaner George W. Bush verabschiedete sich tatsächlich auch mit einem schlichten letzten „Gute Nacht“. Einen solchen Sinn hatte zuletzt die Abschiedsrede des Präsidenten Biden im Januar 2025. Denn er hielt seine Rede im Angesicht der Machtübernahme des Präsidenten Trump. Biden hielt auch gleich zwei denkwürdige Reden, eine im Außenministerium und eine im Weißen Haus. Im Außenministerium fasste er die Mission und die Vision der Vereinigten Staaten zusammen:
„Die Welt hat enorme Veränderungen durchgemacht, aber bestimmte Dinge haben sich immer als wahr erwiesen, und zwar in unserem besten Amerika, das nicht nur durch das Beispiel unserer Macht, sondern durch die Macht unseres Beispiels geprägt ist. … Wir sind das einzige Land auf der Erde, das auf einer Idee gegründet wurde. Jedes andere Land gründet sich auf Geografie, Religion, Ethnizität oder einen anderen einigenden Faktor, aber Amerika wurde auf einer Idee aufgebaut, auf einer Idee, buchstäblich, nicht im übertragenen Sinne, diese Idee war, dass alle Frauen und Männer gleich geschaffen sind, die Idee, die die Welt seit 250 Jahren inspiriert hat.“(Biden)
Der eigene Staat mit seinem extremen Partikularismus wird transzendental begründet und so jeder Kritik entzogen. Der Gründungsmythos entfernt die Vereinigten Staaten von ihrer Geschichte des Völkermords an den indigenen Völkern und von der Geschichte der Sklaverei.
Gegen seinen Nachfolger gerichtet betont Biden das Verdienst seiner Amtszeit zur Bekämpfung des Klimawandels. Zugleich werden die eigenen Leistungen, wie in allen Abschlussreden der Präsidenten, in den Vordergrund gestellt: „Wir haben unsere diplomatische Macht erhöht und mehr Verbündete geschaffen, als die Vereinigten Staaten jemals in der Geschichte unserer Nation hatten. Wir haben unsere militärische Macht erhöht und die bedeutendsten Investitionen in die industrielle Verteidigungsbasis seit Jahrzehnten getätigt. Wir haben die technologische Macht erhöht, indem wir die Führung in der künstlichen Intelligenz und anderen Zukunftstechnologien übernommen haben, und wir haben die Wirtschaftskraft erhöht, indem wir die dynamischste Wirtschaft der Welt von unten nach oben und von der Mitte nach außen aufgebaut haben und nicht von oben nach unten.“(Biden)
Die Einheit von militärischer Macht, technologischer Spitzenposition und wirtschaftlichem Übergewicht gegenüber allen anderen Konkurrenten in der Welt ist das Mantra jeder Rede. Diese Stärke ist für Amerika der Auftrag zu seiner globalen Führungsrolle. Mit „globaler Führung“ wird die Grenzenlosigkeit der Machtausübung und der militärischen Interventionen umschrieben, wobei sehr wohl an das „deutsche“ Verständnis von Führer gedacht werden kann.
Bei Bill Clinton heißt dies: „Weil wir auf der Welt jeden Tag auf vielfältige neue Weise miteinander verbunden sind, erfordern es die Sicherheit und der Wohlstand Amerikas, dass wir weiterhin eine Führungsrolle übernehmen. In diesem bedeutsamen Augenblick der Geschichte leben mehr Menschen als je zuvor in Freiheit. Unsere Bündnisse sind stärker denn je. Die Menschen auf der ganzen Welt blicken auf Amerika als Kraft für Frieden und Wohlstand, Freiheit und Sicherheit. Die Weltwirtschaft gibt mehr Menschen unserer eigenen Bevölkerung und Milliarden auf der ganzen Welt die Chance zu arbeiten, zu leben und ihre Kinder mit Würde zu erziehen.“ (Clinton)
Weltverantwortung begründet Weltherrschaft – so die präsidiale Lesart. Von außen betrachtet erscheint die Rede von der Verantwortung als Legitimation für die Herrschaft über die Welt. Dabei geht es, wie Clinton es formuliert, um die „Sicherheit und den Wohlstand Amerikas“. Später heißt es, und diese Formulierung stellt nur eine Radikalisierung einer langen Praxis und eines ungebrochenen Selbstverständnisses dar: „Make America great again!“ (Schon Reagan hatte im Wahlkampf 1980 diese Formel verwendet).
Ungebrochen wird dieses Sendungsbewusstsein durch alle Krisen hindurch gefeiert, alles Gute in der Welt ist Amerikas Verdienst, das Schlechte auf der Welt kommt von außen und wird bekämpft. Amerika muss, in dieser Perspektive, Kriege führen um Freiheit und Demokratie in der Welt zu verteidigen und gegen den Terror zu sichern. Barak Obama analysiert den Zustand der Welt und bestimmt den Auftrag der Vereinigten Staaten folgendermaßen: „Diese Ordnung wird nun infrage gestellt – erst von gewalttätigen Fanatikern, die behaupteten, für den Islam zu sprechen, und zuletzt von Autokraten in anderen Ländern, die in freien Märkten, offenen Demokratien und der Zivilgesellschaft an sich eine Bedrohung für ihre Macht sehen. Die Gefahr, die sie alle für unsere Demokratie darstellen, reicht viel weiter als eine Autobombe oder Rakete. Sie steht für die Angst vor Wandel, die Angst vor Menschen, die anders aussehen, sprechen oder beten, für die Verachtung der Rechtsstaatlichkeit, die Politiker zur Verantwortung zieht, für die Nichtakzeptanz von Andersdenkenden und Meinungsfreiheit, für die Überzeugung, dass Schwerter, Schusswaffen, Bomben und die Propagandamaschinerie entscheiden, was wahr und was richtig ist.“ (Obama)
Amerika ist also nicht nur für Ordnung zuständig, sondern auch für die Wahrheit. Mit den „Bomben“ spielt Obama sicherlich nicht auf die 30 Jahre an, während derer die USA allein den Irak mit Bomben terrorisiert haben, oder auf die „Mutter aller Bomben“ mit der in Ost-Afghanistan beliebig Menschen getötet wurden. „Wahrheit“ wird beansprucht von einem Präsidenten, in dessen Amtszeit ebenso viele Menschen von Drohnen getötet wurden wie in den Amtszeiten der anderen Präsidenten.
Am Ende der Amtszeit erkennen manche Präsidenten auch Probleme und Gefährdungen der eigenen demokratischen Ordnung. Diese Thematik hat Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede am 17.01.1961 angesprochen. Auch er betont zunächst die Vormachtstellung der USA in der Welt: „Ungeachtet dieser Weltenbrände steht Amerika heute als stärkste, einflussreichste und produktivste Nation der Welt da. Wir sind verständlicherweise stolz auf diese Vormachtstellung.“
Gleichzeitig reflektiert Eisenhower die Folgen dieser Vormachtstellung für die Gewichte innerhalb der Demokratie, die sich verschieben: „Diese Verbindung eines gewaltigen Militärapparates mit einer großen Rüstungsindustrie stellt eine neue Erfahrung in den USA dar. Der gesamte Einfluss – wirtschaftlich, politisch, ja sogar spirituell – wird wahrgenommen in jeder Stadt, in jedem Parlament unserer Bundesstaaten und jeder Behörde der Bundesregierung. Wir erkennen die Notwendigkeit dieser Entwicklung an. Wir dürfen aber auch nicht die Augen verschließen gegenüber ihren schwerwiegenden Folgen. Alle unsere Bemühungen, Mittel und Existenzgrundlagen sind betroffen; das gilt auch für die Struktur unserer Gesellschaft. In den Gremien der Regierung müssen wir uns verwahren gegen die Inbesitznahme einer unbefugten Einmischung, ob angefragt oder nicht, durch den Militär-Industriellen Komplex. Das Potential für die katastrophale Zunahme deplatzierter Macht existiert und wird weiter bestehen bleiben.“ (Eisenhower)
Der Weltkriegsgeneral und frühere Präsident einer Universität kennt aus dreifacher eigener Erfahrung nun auch als Präsident der USA die Verschiebungen der Macht durch Technologie und militärische Sicherung der Vormachtstellung. Alle späteren Analysen des „Militärisch-Industriellen Komplexes“ knüpfen an seine Diagnose an. Gleichzeitig sind die Machtverschiebung und die Investition der gesellschaftlichen Ressourcen nicht nur durch den Nutzen des technologischen Fortschritts zu legitimieren, sondern gerade auch mit dem Hinweis auf die Konkurrenz mit den Mächten des Bösen.
„Es steht jedoch außer Frage, dass unsere Maßnahmen erheblich dazu beigetragen haben und dass sich nun die autoritären Staaten enger aneinander ausrichten – Iran, Russland, China, Nordkorea. Aber das liegt eher an ihrer Schwäche als an ihrer Stärke. … Daher befinden sich die Vereinigten Staaten zu Beginn einer neuen Regierung in einer grundlegend stärkeren Position gegenüber diesen Ländern als noch vor vier Jahren. Ich kann dem amerikanischen Volk berichten, dass wir uns in einer besseren strategischen Position befinden, was den langfristigen Wettbewerb mit China angeht.“ (Biden)
Die Gefahr für die Demokratie sieht Biden auch in der heraufziehenden Präsidentschaft von Trump. Er diagnostiziert eine „gefährliche Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Superreichen“. In seiner zweiten Abschiedsrede im Weißen Haus warnt er vor „Machtmissbrauch“ durch eine korrupte Elite: „Heute bildet sich in Amerika eine Oligarchie von extremem Reichtum, Macht und Einfluss, die buchstäblich unsere gesamte Demokratie, unsere Grundrechte und Freiheiten und eine faire Chance für jeden, voranzukommen, bedroht.“
Biden spitzt seine Kritik auf seinen Nachfolger Trump zu, die Deformation der Demokratie durch den Einfluss weniger sehr reicher Personen als Grundlage der eigenen Macht bleibt im Dunkeln. Die Plutokratie und Oligarchie der amerikanischen Herrschaftsstruktur werden nur in der politischen Auseinandersetzung mit dem innenpolitischen Gegner thematisiert. Zugleich aber wird dieses Modell der Herrschaft auf die Welt übertragen und ist Grundlage des amerikanischen Sendungsbewusstseins. Es ist geradezu skurril, wie im Land der acht Millionen Dollarmillionäre, aus deren Spitze Biden selbst seine Präsidentschaft verdanken konnte, die Frage der Ungleichheit angesprochen wird.
Auch Barak Obama macht den „Zustand unserer Demokratie“ zu einem Hauptthema seiner Rede. Für ihn tritt neben die wirtschaftliche Argumentation und das Problem der ethnischen Spaltung das sozial- und gleichheitspolitische Argument: „Aber große Ungleichheit schadet auch unserem demokratischen Ideal. Während das eine Prozent ganz oben einen größeren Anteil an Vermögen und Einkommen angehäuft hat, wurden zu viele Familien in den Innenstädten und auf dem Land abgehängt: der entlassene Fabrikarbeiter, die Kellnerin oder die Pflegekraft, die gerade so über die Runden kommen und Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen. Sie sind überzeugt, dass sich die Spielregeln zu ihren Ungunsten auswirken, dass die Regierung nur den Interessen der Mächtigen dient – damit sind wachsender Zynismus und eine stärkere Polarisierung in unserer Politik vorprogrammiert.“ (Obama) Seine Schlussfolgerung: „Wenn das Vertrauen in unsere Institutionen gering ist, sollten wir den schädlichen Einfluss des Geldes auf unsere Politik verringern.“
Immerhin ergibt sich bei den demokratischen Präsidenten Amerikas eine gewisse Einsicht in die Perversion des demokratischen Anspruchs. Auch wenn ihre Reden der Selbstdarstellung dienen und den amerikanischen Gründungs- und Sendungsmythos erneuern, können sie nicht ganz die Augen vor den tatsächlichen Verhältnissen in ihrem Land verschließen. Die selbstkritische Ergänzung ist schmal und legitimiert gewissermaßen den gesamten Führungsanspruch, lässt aber nicht die Vermutung aufkommen, dass die Besonderheit der Vereinigten Staaten in Frage gestellt werden könnte. Selbstkritik wird zum Ausweis der Souveränität eines Präsidenten.
In den Abschiedsreden der republikanischen Präsidenten wird dieses Weltbild zugespitzt. „Aber Gut und Böse gibt es in der Welt, und dazwischen gibt es keinen Kompromiss“ – bringt es George W. Bush auf eine auch für den Durchschnittsamerikaner verständliche Formel. Und Ronald Reagan fasst es kurz: „Wenn wir stark und unerschütterlich sind, haben wir Erfolg“. Ein dichotomisches Weltbild leitet das Handeln der amerikanischen Präsidenten an. Die Ordnung der Staaten folgt dem Schema: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“ Für die Bewertung des Handelns gibt es zwei Kategorien: „Gut und Böse.“ Demokratie erscheint nicht als ein konflikthaftes und auf Konsens gerichtetes Aushandeln von Interessen und Unterschieden, sondern als Ideal, mit dem das eigene Handeln identisch ist. Diesem Demokratieverständnis liegt eine schlichte Identitätstheorie zugrunde, das Handeln ist mit der Idee des Selbst identisch. Hans Joas spricht von einem „imperialen Universalismus“.
Wer etwas über die Realität der amerikanischen Mission erfahren möchte, sei auf folgendes Werk hingewiesen: Armin Wertz, Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA. Frankfurt am Main 2015, Westend. Dieses Werk stützt sich teilweise auf die Aufstellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Amerikanischen Kongress.
Internetquellen
https://taz.de/Abschiedsrede-von-Joe-Biden/!6062703/
https://www.netz-trends.de/id/4937138/Joe-Boden-Rede-Abschiedsrede-komplett-hier-im-Transkript/
http://www.glasnost.de/docs01/0101clinton.html (Clinton)
blogs.usembassy.gov – Abschiedsrede von Präsident Barack Obama/
https://politeknik.de/p12509/ Amerikanische Demokratie (Medizinisch-Industrieller Komplex (MedIK): Ein Verwandter des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) – Franz Hamburger)
https://crsreports.congress.gov (Congressional Research Service: Instances of Use of United States Armed Forces Abroad, 1798-2022. Updated March 8, 2022. R42738)